Frank Bugge

Mediencontent und Mediendienstleistung

 Ob Pflaster, Asphalt, Wiese, Schotter oder Waldweg:  42 Tage lang ging es beim "Lauf für die Pressefreiheit" auf Tour. Fotos/ Montage: Bugge


Jeden Tag aufs Neue bewähren

42 Tage lang gelaufen und gemessen: 1673,93 Kilometer haben wir fünf Journalisten als Team „Schnüffelnasen“ beim "DJV-Lauf für die Pressefreiheit 2021" geschafft

 Von Frank Bugge

 WETZLAR/SINZIG. Wir sind Millionäre. Denn 2.391 230 Schritte und damit 1673,93 Kilometer haben wir im fünfköpfigen Journalisten-Team mit dem netten Namen „Schnüffelnasen“ bei der Aktion „Lauf für die Pressefreiheit 2021“ des Deutschen Journalisten Verbands (DJV) geschafft. Obwohl es kein Wettkampf war, bedeutet unsere Leistung Platz vier im bundesweit 18 Teams umfassenden Feld mit 89 Läuferinnen und Läufern. Zwei Tage länger als die vielsagenden vierzig biblischen Tage, also 42 Tage lang, ging es vom 21. März bis zum 1. Mai von Berlin aus in die Machtzentren Paris, Brüssel und Luxemburg, um mit der Aktion den Wert der Pressefreiheit herauszustellen.Darum geht es auch am Montag, dem 3. Mai, dem "Tag der Pressefreiheit".

 Virtuell durch drei Länder

1715 Kilometer sollte jedes Team schaffen, die innereuropäische Strecke von Deutschland nach Frankreich, Belgien und Luxemburg allerdings nur virtuell laufen. Denn jede Läuferin und jeder Läufer ging in Pandemiezeiten zuhause und je nach Lust und Laune auf Tour. Die Tagesleistung, auf dem persönlichen Fitnesstracker dokumentiert, wurde von jedem einzeln in Treu und Glauben im Online-Veranstaltungsportal Schritt4fit hinterlegt. Hier war zudem ein persönlicher, virtueller „Innerer Schweinehund“ unterwegs, der - offenbar von Algorithmen gesteuert - mal mehr und mal weniger als ich gelaufen ist und vor allem zum Anspornen diente. 707 605 Schritte und 495,32 Kilometer stehen in meiner persönlichen Bilanz, die den „Schweinehund“ (687 115 Schritte) klar hinter sich gelassen hat.

Uns „Schnüffelnasen“ mit Rainer N. aus Rheinland-Pfalz, Thomas H. aus Niedersachsen, Klaus B. aus Hamburg, René M. aus Sachsen-Anhalt und mir als Hesse fehlten am 1. Mai als letztem Tag gerade mal die Marathon-Distanz von 42 Kilometern bis ins Ziel, das übrigens nur die sehr lauffleißigen drei Erstplatzierten pünktlich und locker erreicht haben.

 Mit Rücksicht auf Daten-Puristen im vom DJV und Schritt4fit zusammengestellten Team hatten wir „Schnüffelnasen“ untereinander leider nur kurzen E-Mail-Kontakt.

 Verbunden hat uns aber das Thema Pressefreiheit. Und am jeden der 42 Tage, an dem die zwei Spazierrunden mit dem Hund oder die Laufrunde zwischen acht und elf Kilometern anstand, kreisten die Gedanken um dieses wertvolle Gut des bürgerlichen Gemeinwesens. Keine Selbstverständlichkeit, wie wir aus den Nachrichten wissen, die von Gewalt gegen Journalisten, berichten, von Haft und Folter und Unterdrückung. Meistens von Staatswegen, weil selbst den angeblich demokratisch legitimierten Mächtigen, ihren Interessen und ihrem Tun mitunter eine freie Presse entgegentritt.

 Allgegenwärtig und alltäglich 

 Die Bedrohungen für die Pressefreiheit sind allgegenwärtig und alltäglich. Dann nämlich, wenn der gesellschaftliche Konsens über die Definition von freien Medien und ihrem Auftrag in einer scharfen öffentlichen Polarisierung verlorengeht. Wenn kein sachlicher Diskurs mehr über unsere Arbeit und ihre Ergebnisse mehr möglich ist, weil wir als „System- und Lügenpresse“ abgestempelt, angefeindet und angegriffen werden.

 Wichtiges Instrument der Kontrolle und zur Steigerung der Akzeptanz sind auf unserer Seite der Presserat, und ein wichtiges Instrument zur Stärkung der Medien in der Gesellschaft müsste eine weit verbreitete Medienkompetenz werden. Beides stärkt die Pressefreiheit.

 Die staatlich verordneten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie haben neben den bürgerlichen Freiheiten ebenso die Pressefreiheit eingeschränkt.

 Die kontaktfreie Vereinzelung im Home-Office und die Reduzierung der Produktioner in den leeren Redaktionen verhindern den alltäglichen produktiven Austausch über unsere Themen und unsere Arbeit.

Auf der anderen Seite gibt es kaum noch Präsenz-Pressekonferenzen oder Termine, bei denen wir den Dingen und Akteuren nah sind und uns selbst ein Bild machen können. Mit Video-Konferenzen und Telefoninterviews erfassen wir eingeschränkt nur einen Teil der Informationen, die für die Berichterstattung sind. Und zu guter Letzt wächst in dieser Zeit die Zahl der öffentlichen und in der Wirtschaft tätigen Akteure, die ihre Pressearbeit selbst in die Hand nehmen und über eigene Kanäle publizieren. Das bedroht die von ausgebildeten Journalisten kuratierte Berichterstattung.

 Verteidigenswerte Privilegien

 Von der Pressefreiheit zurück zum Laufen: Gute Läufe mit guten Zeiten sind keine Selbstverständlichkeit. Jeder Lauf ist eine Herausforderung. Manchmal ist man froh, überhaupt hinaus- und schließlich wieder heimgekommen zu sein. Faktoren fürs Laufen sind nicht nur Wind und Wetter, sondern auch die „weichen“ Rahmenbedingungen. Familie, Beruf, Gesundheit und das gesellschaftliche Umfeld müssen das Laufen möglich machen und Zeit dafür bieten. Schließlich ist es ein hohes und verteidigenswertes Privileg, diese Freiheit des Laufen genießen zu dürfen. Wie die Pressefreiheit.

Jahrestag der Flut im Ahrtal:

Rückblick auf die Helfer, die bei uns übernachtet haben.

Danke für euren großartigen Einsatz!

Hier mein Artikel in der Rhein-Zeitung über diese Zeit. 

Hier der Link:

Beeindruckt, ergriffen, erfüllt: Kleine Geschichten der großen Hilfe an der Ahr - Kreis Ahrweiler - Rhein-Zeitung

Beeindruckt, ergriffen, erfüllt

Kleine Geschichten der großen Hilfe an der Ahr - Kreis Ahrweiler - Rhein-Zeitung

Kreis Ahrweiler. Leon war der erste. Der – wie sich erst später herausstellte – gerade mal 17-Jährige hatte die Fernsehbilder und Videos auf Facebook von der Flutkatastrophe gesehen und für sich und die Welt beschlossen, dass es jetzt nichts wichtigeres gibt, als im Ahrtal selbst zu helfen. Das verkündete er mit unnachgiebigem Nachdruck der Familie, seinem Lehrherrn und dem Rektor der Berufsschule. Sie ließen ihn gewähren. Leon setzte sich in Augsburg in den Zug und erreichte Sinzig in voller Montur – Gummistiefel, Latzhose, Handschuhe plus kleines Gepäck - und voller Tatendrang. Eine Woche lang lebte er bei uns. Tagsüber fand Leon seine Einsatzorte als „betreuter“ Fluthelfer zunächst bei flutbetroffenen Freunden im Dreifaltigkeitsweg, die ihn geradezu adoptierten, gerne auch an die Nachbarn „ausliehen“. Oder Leon zog mit anderen jungem Leuten und Trupps mit gleichem Impetus durch die Straßen an der Ahr von Keller zu Keller, um anzupacken und rauszuscheppen.

Die ungewohnte harte körperliche Arbeit, der gemeinsame, selbstbestimmte „Kampf“ mit den Flutbetroffenen oder anderen Helfern gegen Schlamm, Dreck und „die Katastrophe“, ihr gemeinschaftliches „Wir schaffen das“, hat ihn tagelang begeistert und getragen. Leon war nicht zu bremsen, war euphorisiert, teilte immer wieder Fotos und Eindrücke mit Selfies auf Facebook, erhielt dort großartige Rückmeldungen. Er erfuhr wie Tausende andere Ahrtal-Spirit, der schließlich als #SolidAHRität“ gefeiert wurde:

Leon war der erste Fluthelfer, der bei uns übernachtete. Bis Mitte September sollten es Menschen aus allen Teilen der Republik werden, die zwischen einer Nacht und 14 Nächten bei uns schliefen, duschten, frühstückten, „denen mit einem Büttchen bunt“ geholfen wurde und die abends von ihren Erlebnissen als Fluthelfer berichteten. Alle ebenso beeindruckt, ergriffen, aber auch erfüllt wie Leon.

Doch der Reihe nach. Als „es“ passierte waren wir mit dem Wohnmobil in Europa unterwegs. Die Nachrichten aus der Heimat, die nur bruchstückhaften Informationen aus der Familie und von Freunden machten klar: Wir müssen zurück. Unterwegs auf der Autobahn begegneten uns Konvois von Feuerwehren und THW, offenbar auf den Weg ins Ahrtal oder sogar schon zurück. „Wir danken für eure Hilfe“ war immer wieder an Brücken zu lesen.

Daheim auf unsrer Terrasse empfingen uns unerwartet wildfremde Leute. Sohn Jan war von Tag eins mit den „Eimerketten-Trupps“ im Fluthilfeeinsatz bei einem Kumpel in Ahrweiler, dessen Wohnung in der Schützenstraße liegt. Der wiederum hatte in der Flut ein älteres Ehepaar aus der später vollgelaufenen Erdgeschosswohnung zu sich nach oben geholt – und ihnen damit das Leben gerettet. Sie hatten nichts mehr außer ihrer Nachtwäsche. Zunächst kamen sie bei uns unter, neu eingekleidet und versorgt aus dem nahen Spendenlager. Schließlich übernahm ihr Tochter die Betreuung.

In der Schützenstraße lag auch eine Woche lang der Einsatzort von Thorsten aus dem Osten Berlins. Der hatte Frau und Kind trotz Ferien und Urlaub zu Hause gelassen, weil er an der Ahr helfen musste. Wohl nicht ganz ohne „politischen“ Ansatz, wie seine anhaltende Staatskritik beim Abendbier immer wieder zeigte. Wenn er sage, wen er wähle, fliege er sicherlich bei uns raus, stellte er schließlich fest. Bilateral einigten wir uns, die verbleidenden beiden Tage nicht mehr über Politik zu reden. Beim Abschied sagte er zu, auf jeden Fall wieder an die Ahr zum Helfen zu kommen.

Offenbar Ergebnis einer Partywette war der Wochenendeinsatz von Franceso und Marco. Die hatten sich abends verabredet, am frühen Morgen von Hessen aus zum Helfen an die Ahr zu fahren. „Das machst du nie“, hatte einer dem anderen unterstellt. Denkste. Beim Scheppen in Heimersheim trafen sie auf Maik aus Fulda. Der Heizungsbauer hatte sein Wohnmobil top ausgerüstet für seinen ersten Helfereinsatz. Alle drei Hessen kamen später immer wieder zu helfen.

Ebenso wie Gerald und Elmar aus dem Raum Bamberg. Sie beide waren die Vorhut. Von Sinzig aus erkundeten sie das Ahrtal, suchten und fanden Einsatzstellen und Arbeit. Im September und Oktober organisierten die beiden über ihren Motorradklub Spendenaktionen daheim und fuhren mit Bussen voller Helfer tageweise ins Flutgebiet.

Ein Techtelmechtel steckte hinter dem Ahr-Einsatz von „Bernhard und Bianka“, wie wir sie nannten. Sie hatten sich gerade erst kennengelernt und den gemeinsamen einwöchigen Hilfseinsatz an der Ahr beschlossen. Für „Bianka“ waren die schwere Arbeit, der Staub, der Dreck und vor allem der Öl-Geruch in Dernau, wo sie halfen, gar nichts. „Bernhard“ dagegen blühte auf, machte ihr gegenüber „den Dicken“. Nichts war ihm zu schwer oder zu dreckig. Abends erzählte er überschwänglich von ihrem tollen Tag. Inwieweit „Bianka“ wirklich beeindruckt davon war, im Mini-Bagger auf dem Schoss sitzend von „Bernhard“ zur Kaffeepause durch Dernau kutschiert zu werden, konnten wir nicht klären. Wir haben nichts mehr von ihnen gehört.

Der pfeifenrauchende Oliver war ein ruhiger Typ, der sehr regelmäßig und alleine zum Hilfseinsatz ausrückte, sehr gut klarkam, aber wenig zu erzählen hatte. Sabine aus Oberstdorf strandete in einer Regennacht bei uns. Von Oberstdorf mit der Bahn kommend wollte die Skilehrerin weiter und ins Zeltlager am Helfer-Shuttle. Sie hatte viel in den Medien gesehen und fieberte ihrem Katastropheneinsatz entgegen. Doch nachts und bei diesem Regen war nichts zu machen. Oliver setzte sie am nächsten Morgen in Ringen ab, wo ihr Hilfseinsatz startete, der auf ihrer Facebook-Seite zu verfolgen war.

Gleich zwei Wochen lebte Jörg aus Essen bei uns, tagsüber an der Ahr aktiv. Er arbeitet in der Eventbranche, wo dank Corona nichts ging. Sein motorsportbegeisterter Chef kennt die Ahr von Besuchen auf dem Nürburgring. Er stellte Jörg frei. Der wiederum organisierte sich über sein Netzwerk einen 20-Tonnen-Bagger, den er samt An- und Abfuhr per Tieflader gratis bekommen hatte. An der Ahr in Ahrweiler, in der Schützenstraße und an den Schulen, baggerte er weg, was weg musste. Leider auch das Haus einer älteren Dame, der Jörg nicht nur mit kostenlosen Abriss und Abfuhr half, sondern sie auch trösten konnte. Obendrein machte er noch einen kleinen Jungen glücklich, der in „all dem Drieß“ stolz war, in Jörgs Bagger mitfahren zu dürfen. Der Essener hinterließ ein großes Erinnerungsfoto und seinen Bagger in Spielzeuggröße. Da haben sich zwei Kumpels gefunden.

Immer mal wieder übernachtete Dennis bei uns. Von Beruf Bäcker auf der anderen Rheinseite und als Tanztrainer in der Region bekannt, half und hilft er in jeder freien Minute an der Ahr. Unter anderem war er tagelang bei der Weinlese dabei und unterstützt die „Schwarzwaldmädel“, wenn sie in Laach kochen und zum Gratisessen einladen.

Der bislang letzte Übernachtungsgast war Danilo. Er rauschte kurzfristig sehr spät abends mit einem Auto voller Heizungen und einem dicken Spendenscheck aus seinem Dorf in der fernen Uckermark heran. Am nächsten Morgen übergab er alles in Ahrweiler, machte sich dann wieder heim. Könnte sein, dass er noch mal wiederkommt, hat er mitgeteilt. Es ist ja immer noch viel zu tun. (fbu)


Beitrag für das Jahrbuch 2023 des Kreises Ahrweiler








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